Rückkehr in das Herkunftsland
Die Schweiz nach dem Freiheitsentzug verlassen
In der Schweiz ist ein Grossteil der Gefängnispopulation ausländischer Herkunft (70 %, gemäss dem Bundesamt für Statistik, BFS). Wenn diese Personen keinen rechtmässigen Aufenthaltsstatus haben oder ihn aufgrund eines gerichtlichen Ausweisungsentscheids verlieren, bedeutet das oft, dass sie nach der Verbüssung ihrer Haftstrafe die Schweiz verlassen müssen. Sie müssen dann in ihr Herkunftsland zurückkehren, das sie unter Umständen kaum kennen, auch wenn sie von dort stammen. Im Jahr 2021 wurden 1895 Personen nach Verbüssung ihrer Freiheitsstrafe ausgewiesen (BFS, 2022). Diese Situation führt bei den Betroffenen oft zu Frustration, Wut oder Verzweiflung. Die Justizvollzugseinrichtungen wiederum stehen unter Druck, den Ausweisungsentscheid zu unterstützen und die Grundstimmung wird dadurch negativ beeinflusst.
Wie kann die Rückkehr der betroffenen Personen bestmöglich vorbereitet werden? Wie kann man erreichen, dass die im Freiheitsentzug verbrachte Zeit für die Vorbereitung der Wiedereingliederung im Herkunftsland genutzt wird? Um diese Fragen zu beantworten, hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Freiburger Netzwerks für psychische Gesundheit (FNPG) und des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV) verschiedene Schlüsselakteure zusammengebracht, die nun gemeinsam daran arbeiten, diese komplexe Betreuungssituation zu verbessern. Die Anzahl der institutionellen Akteure, die bei einem Ausweisungsentscheid aktiv werden können, ist hoch: Während der Betreuung im Freiheitsentzug, bei der Entwicklung von Rückkehrprojekten mit verschiedenen Partnern und der bei der Vorbereitung der tatsächlichen Rückkehr in das Herkunftsland können Dutzende von lokalen, kantonalen, eidgenössischen und internationalen Stellen involviert sein. Die Nutzung von Synergien ist daher von wesentlicher Bedeutung.
Auf dieser Website veranschaulichen wir anhand mehrerer Erfahrungsberichte die Rolle und den Mehrwert jedes einzelnen Akteurs, indem wir die Etappen von der Inhaftierung bis zur Rückkehr in das Herkunftsland nachzeichnen. Da viele Menschen heute nach dem Freiheitsentzug, ohne Aussicht auf Wiedereingliederung, ausgewiesen werden, sind die Herausforderungen zahlreich. Mit diesem Vorhaben zeigen wir auf, dass es Lösungen für eine bessere Betreuung gibt, einschliesslich realistischer Perspektiven im Hinblick auf die eigentliche Rückkehr.
Im Freiheitsentzug
Möglichst frühzeitig ein betreutes Rückkehrprojekt entwickeln
Jacek Wojdyla«Hauptziel ist, dass Inhaftierte ohne Bleiberecht in der Schweiz ein strafloses Leben in Freiheit in ihrem Herkunftsland führen können.»Der Eintritt ins Gefängnis, das Warten auf das Urteil und dessen Akzeptanz sind für jede inhaftierte Person wichtige und oft schwierige Schritte. Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich, wenn die Gewissheit hinzukommt, dass man die Schweiz nach der Verbüssung der Freiheitsstrafe verlassen muss, obwohl man vielleicht viele Jahre oder sogar das ganze bisherige Leben hier verbracht hat. Darüber hinaus erschwert die Aberkennung oder das Fehlen einer Aufenthaltsgenehmigung den Vollzug der Sanktionen, da den Betroffenen bestimmte Vollzugserleichterungen, welche Schweizer und Schweizerinnen oder ausländische Personen mit gültigem Aufenthaltstitel in Anspruch nehmen können, verwehrt bleiben. Dies betrifft zum Beispiel die Gewährung von Hafturlaub.
Deshalb ist es wichtig, die Wiedereingliederung in einem breiteren Sinne zu verstehen und nicht nur als schrittweise Rückkehr in die schweizerische Gesellschaft. Daher sollte bei der Vollzugsplanung die Tatsache einer möglichst baldigen Rückkehr einbezogen und der Vollzug entsprechend organisiert werden. So wird den Betroffenen die Handlungsfähigkeit zurückgegeben und es kann eine realistische Zukunftsperspektive geschaffen werden. Sie werden in den Mittelpunkt gestellt, womit gleichzeitig der Ausstieg aus der Delinquenz gefördert wird.
Cindy von Bueren«Erst wenn die betroffene Person im Rahmen der Arbeitsbeziehung das Vorhaben akzeptiert, kann man mit konkreten Projekten beginnen.»In diesem Zusammenhang gibt es noch zahlreiche Herausforderungen: Neben dem häufig angeführten Mangel an Ressourcen besteht eine Unkenntnis darüber, welche Netzwerke und Akteure einbezogen werden können. Zudem fehlen den Fachkräften die Instrumente, um die Betroffenen gezielt zu informieren. Zu den Lösungsansätzen gehören daher ein besserer Informationsaustausch, die Koordination zwischen allen Beteiligten sowie die Identifizierung von Verbindungs- und Kontaktpersonen im Herkunftsland (Angehörige oder Organisationen, die nach der Rückkehr vor Ort Unterstützung leisten können).
Die im Freiheitsentzug verbrachte Zeit kann also genutzt werden, um die Zukunft vorzubereiten, und der Vollzugsplan kann als Instrument zur Verwirklichung eines Projekts betrachtet werden: Welche Aus- oder Weiterbildung, welche Kontakte und welche Kompetenzen können mobilisiert werden, um dieses Ziel zu verfolgen? So können im Freiheitsentzug zum Beispiel Berufs-, Computer-, Sprach- und buchhalterische Kompetenzen entwickelt werden, um das Rückkehrprojekt vorzubereiten.
Hervais Kamdem«Keine Vollzugsöffnungen gewährt zu bekommen, erzeugt Frustration und ein Gefühl der Ungerechtigkeit.»Unabhängig davon, ob eine inhaftierte Person sich in einer institutionellen therapeutischen Massnahme befindet oder nicht, kann ein therapeutischer Prozess stagnieren, wenn die Frage der Rückkehrvorbereitung unbeantwortet bleibt. Auch sollte geprüft werden können, wie die Behandlung erforderlichenfalls nach der Ausreise aus der Schweiz fortgesetzt werden kann. Die aktive Beteiligung der betroffenen Personen ist daher von zentraler Bedeutung. Das Ziel besteht nicht darin, die Betreuung zu einem Druckmittel zu machen, um die Ausreise aus der Schweiz zu vereinfachen, sondern die im Freiheitsentzug verbrachte Zeit für die Realisierung eines sinnstiftenden Projekts zu nutzen.
Übergang
Inhaftierte Personen in ihrem Prozess begleiten
Michèle Demierre«Wichtig ist, die Menschen dazu zu bringen, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren.»Die Zeit im Freiheitsentzug sollte als Übergangszeit vor der Entlassung in die Welt ausserhalb des Freiheitsentzugs gestaltet werden. Wenn schon bald nach Beginn des Sanktionenvollzugs ein Projekt definiert werden kann, trägt dies dazu bei, dass die Verbüssung der Sanktion strukturiert durchgeführt wird und für die Zeit nach der Haft konkrete Perspektiven angeboten werden können. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, dass die Einrichtungen des Justizvollzugs Hand in Hand mit den Organisationen arbeiten, welche die inhaftierten Personen bei der Planung und Durchführung solcher Rückkehrprojekte unterstützen, wie z. B. der Internationale Sozialdienst Schweiz, bestimmte Rotkreuz-Kantonalverbände oder auch die kantonalen Migrationsdienste.
Zunächst bieten diese Organisationen Hilfestellung bei der Festlegung eines Berufs- oder Ausbildungsprojekts, das auf die Fähigkeiten und Erfahrungen der betroffenen Person abgestimmt ist. Sie verfolgen einen im Hinblick auf die begangenen Delikte werturteilsfreien Ansatz und stellen die Person in den Mittelpunkt, was dieser eine Rückkehr in Würde ermöglicht.
Rahel Zbinden«Das Ziel ist, dass die Person mit einer Perspektive in ihr Herkunftsland zurückkehren kann.»Konkret bedeutet dies, dass die lokalen Partner nach der Herstellung des ersten Kontakts die Situation im Herkunftsland analysieren und mit den betroffenen Personen die möglichen Perspektiven besprechen – unter Berücksichtigung ihrer familiären Verbindungen, persönlichen Kompetenzen und finanziellen Situation. Dieser Austausch soll den Personen dabei helfen, ihr Projekt selbst auszuarbeiten.
Um ein realistisches und nachhaltiges Vorhaben aufzubauen, ist die vernetzte Arbeit von entscheidender Bedeutung, und die Einrichtungen des Justizvollzugs müssen direkt einbezogen werden. Entscheidend für den Erfolg des Projekts sind familiäre Verbindungen oder Verwandte im Herkunftsland sowie die Tatsache, dass man sich auf ein Netzwerk vor Ort verlassen kann.
Im Herkunftsland
Von der Insassin in der Schweiz zur Reiseleiterin in Brasilien
Angela«Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich mich ohne die Unterstützung, die mir zuteilwurde, wiedereingegliedert und mein Leben in den Griff bekommen hätte.»Über das Schicksal von Personen, die aus der Schweiz ausgewiesen wurden, nachdem sie hier eine Freiheitsstrafe verbüsst haben, ist oft wenig bekannt. Da die Wiedereingliederung gemäss StGB in erster Linie als Rückkehr in die Schweizer Gesellschaft verstanden wird, fehlt es an Informationen darüber, wie sich die betroffenen Personen in die Gesellschaft des Rückkehrlandes (wieder-) eingliedern können.
Für ausgewiesene Personen sind die Herausforderungen jedenfalls sehr gross – angefangen bei einer allfälligen Rückfallgefahr, falls sie nach ihrer Rückkehr keinerlei Perspektive haben. Ein während dem Freiheitsentzug in der Schweiz erarbeitetes, realistisches Projekt kann der Schlüssel zu einer erfolgreichen Rückkehr sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die betroffene Person ihre eigenen Ressourcen aktivieren, um ein für sie sinnvolles Projekt zu entwickeln.
Auf dem Weg dorthin müssen nach und nach zahlreiche institutionelle und nicht-institutionelle Akteure aktiviert werden, angefangen bei den Vollzugsbehörden in der Schweiz bis hin zur Zivilgesellschaft sowie den Angehörigen im Rückkehrland.
Lida Leskaj«Wichtig ist es, ein Vertrauensverhältnis zu den Projektbegünstigten aufzubauen.»Dank Partnern in den Herkunftsländern können Organisationen wie der Internationale Sozialdienst Schweiz (ISS) oder die Partnerorganisationen des Roten Kreuzes als Bindeglied fungieren und den Fortschritt der Projektumsetzung vor Ort verfolgen. So werden die betroffenen Personen nicht ohne Unterstützung zurückgelassen.
In bestimmten Ländern kann eine vom ISS oder dem Roten Kreuz beauftragte Kontaktperson eine individuelle Betreuung gewährleisten. Beispielsweise kann sie die betroffene Person mit ihren Kenntnissen über das lokale Wirtschaftsumfeld unterstützen. Der Partner vor Ort ist auch dafür verantwortlich, die Ausgaben für das Projekt zu tätigen, da das Geld nicht direkt an die Projektbegünstigten ausgehändigt wird.
Der Internationale Sozialdienst verfolgt aus der Ferne die Umsetzung jedes durchgeführten Projekts und überprüft alle mit der Durchführung des jeweiligen Projekts zusammenhängenden Dokumente. In der Regel erfolgt dieses Monitoring während eines Jahres, manchmal auch länger. Dadurch soll es möglich sein, die Rahmenbedingungen zu ermitteln, die zum Erfolg solcher Vorhaben beitragen.
Dieses Monitoring kann – vor allem wegen der begrenzten Ressourcen – nicht in jedem Fall durchgeführt werden. Allerdings sollen erfolgreiche Erfahrungen sowie der Austausch von Know-how dazu beitragen, dass diese Hilfestellung langfristig einer grösseren Anzahl betroffener Personen angeboten werden kann.
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